Montag, 11. Mai 2020

Sehr geehrte/r Herr/Frau Demonstrant/in


Du bekommst unter der im Moment im öffentlichen Leben verordneten Maske Atemprobleme? Das kenne ich! Du hast keinen Bock mehr, dieses Teil noch weiter zu tragen, weil es dich einschränkt? Geht mir genau so! Du fühlst dich in deinen Grundrechten beschnitten, weil dich neue Gesetze in deinem normalen Alltag behindern? Verstehe ich! Du bist verunsichert, weil für deine alltäglichen Dinge plötzlich überall Sonderregelungen gelten? Ich mag das auch so gar nicht!

Du gehst dafür auf die Straße, damit das Leben während einer Pandemie ganz normal weiter läuft, weil du meinst, du musst dich dagegen wehren, wie die Regierung mit dir umgeht? Du trägst bewusst keinen Mundschutz und hältst dich auch nicht an ein bisschen Anstand zu deinem Gegenüber? Du hast einen Hass auf „die da oben“, weil sie Dinge einfach über deinen Kopf hinweg entscheiden? Stopp! Das kann ich dann jetzt doch nicht mehr nachvollziehen.

Denn der Grund, weshalb du dir erlauben kannst, aus dieser Motivation heraus auf die Straße zu gehen, ist die Tatsache, dass du das Glück hast ein gesunder Mensch zu sein. Allerdings scheint dir nicht klar zu sein, dass dich nicht zwingend deine Grundrechte, um die du dich gerade beschnitten fühlst, privilegieren, sondern die Tatsache, dass du keine Krankheit hast, die dich sowieso schon jeden Tag einschränkt. Du bist gesund, du bist widerstandsfähig, du hast wenig zu befürchten. Trifft dich ja nicht. Bisschen arrogant oder?

Ich stehe auf der anderen Seite. Ich habe Multiple Sklerose. Eine Autoimmunerkrankung, die meine Zentrales Nervensystem angreift. Nicht selbst verschuldet. Nicht ausgesucht. Einfach so. Weil die Natur darauf Bock hatte. Auch ich ging bis vor 8 ½ Jahren davon aus, dass ich gesund bin, obwohl ich inzwischen davon überzeugt bin, dass ich auch vor 2011 schon krank war.

Was ist, wenn du so eine Krankheit in dir trägst? Unbewusst. Nicht erkannt, wie das bei mir lange Zeit der Fall war. Was ist, wenn du zur Risikogruppe gehörst und weißt es nicht? Die Krankheiten können da so vielfältig sein, wie die Gründe, weswegen deinesgleichen auf die Straße geht: Morbus Chron, Hashimoto, Fibromyalgie, Multiple Sklerose, Muskelschwund, Asthma, Epilepsie, Krebs…

Was ist, wenn du dich in der Menge während einer Demo dichtgedrängt und ohne Maske mit Corona ansteckst, weil du dich nicht durch die eigentlich einfach einzuhaltenden Gebote (oder in deinem Erlebten Verbote) schützen willst? Was ist, wenn das deine bisher unbemerkte Krankheit antriggert und vielleicht einen (sehr heftigen) Krankheitsschub auslöst, wenn der Körper mit dem Stress beim Kampf gegen das Virus nicht klarkommt? Was ist, wenn dein Immunsystem dich verlässt und es zu einem schweren Verlauf kommt, der dich umbringt?

Wer ist dann schuld? Immer noch die Regierung? Oder vielleicht doch deine Starrköpfigkeit und Uneinsichtigkeit?

Dienstag, 28. Januar 2020

Ein Fall für die Euthanasie?

Gestern jährte sich zum 75. Mal der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz. Einer der wenigen Überlebenden, der an diesem Tag endlich wieder, dem Tode durch Krankheit näher als dem Leben, die Freiheit erlangte, war Otto Frank, geboren im gleichen Jahr wie Adolf Hitler in Deutschland, ein echter Frankfurter Junge, der dann im dritten Reich, aufgrund seines jüdischen Glaubens, der ihm aber nie sonderlich wichtig war, mit seiner Familie nach Amsterdam in die Niederlande emigrierte.

Bekannt wurde er als Vater von Anne Frank, die in dem Versteck, in dem sie über 2 Jahre lang aufgrund der Judenverfolgung, die während des Krieges auch das besetze Holland erreichte, mit ihrer Familie und Freunden gelebt und Tagebuch geschrieben hat. Otto Frank überlebte als einziger dieser acht Untergetauchten und machte seine Tochter und deren Tagebuch postum weltberühmt.

Auch ich frage mich an solchen Tagen, wie man wohl mit mir und meiner Multiple Sklerose damals verfahren wäre. Wäre ich bereits tot oder hätte man mich "nur" zwangssterilisiert? Wäre ich irgendwie "durchgeschlüpft", weil man mir meine Krankheit eben nicht ansieht? Oder wäre ich, aufgrund meiner langen und akribisch geführten Krankenakte, mit monatlich einem neuen Bericht über meine regelmäßigen Infusionen, die meine Krankheit haben halbwegs zur Ruhe kommen lassen, inzwischen dem "Euthanasieprogramm für lebensunwertes Leben" zum Opfer gefallen?

Hätte man meine Medikation, wenn man damals schon auf dem medizinischen Stand wie heute gewesen wäre, irgendwann eingestellt, weil der Staat bzw. die Krankenkassen die 2400€ (bzw. damals um 1944 knapp 730 Reichsmark) jeden Monat für meine mir das Leben erleichternde Infusion vielleicht irgendwann nicht mehr erübrigen wollten, weil nach nationalsozialistischen Weltbild mein Leiden dadurch nur künstlich verlängert worden, aber eben keine Heilung möglich wäre? Also es aufgrund der Unheilbarkeit für die staatlichen Stellen rausgeworfenes Geld gewesen wäre?


Wie schnell wäre ich in irgendeiner staatlichen Einrichtung oder vielleicht dann bei fortschreitender MS-Erkrankung in einem KZ verschwunden? Von meinen (damit einhergehenden) psychischen Erkrankungen ganz zu schweigen. 

Wäre ich als Mensch wirklich völlig egal gewesen, das wer und was ich bin, sondern wäre es nur darum gegangen, welche Krankheit ich in welchem Stadium habe? Um mich dann letztendlich einfach zu entsorgen, weil ich keine Daseinsberechtigung mehr hätte?

Ich bin froh im heutigen Deutschland zu leben, in dem ich schnelle und relativ unbürokratische Hilfe im Kampf gegen den Fortschritt meiner Krankheit bekomme. In dem ich nicht für meine Medikamente, die ich mir selber einfach nicht leisten könnte, mit meinem Geld aufkommen muss, sondern mich eine Solidargemeinschaft auffängt. Und trotz der Leute, die sich eben die oben geschilderte Zeit heutzutage wieder zurückwünschen, und trotz sicher vieler gesundheitspolitischer Defizite, an denen dringend noch gearbeitet werden muss, kann ich mir im Moment kein besseres Land für meine gesundheitliche Versorgung wünschen als Deutschland. 


Um den Kreis zu schließen, möchte ich diesen Blogbeitrag mit einem Zitat von Otto Frank abschließen:

"Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Das einzige, was wir tun können, ist, aus der Vergangenheit zu lernen und zu erkennen, was Diskriminierung und Verfolgung unschuldiger Menschen bedeutet. Meine Meinung ist, dass jeder die Pflicht hat, gegen Vorurteile zu kämpfen."