Dienstag, 28. Januar 2020

Ein Fall für die Euthanasie?

Gestern jährte sich zum 75. Mal der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz. Einer der wenigen Überlebenden, der an diesem Tag endlich wieder, dem Tode durch Krankheit näher als dem Leben, die Freiheit erlangte, war Otto Frank, geboren im gleichen Jahr wie Adolf Hitler in Deutschland, ein echter Frankfurter Junge, der dann im dritten Reich, aufgrund seines jüdischen Glaubens, der ihm aber nie sonderlich wichtig war, mit seiner Familie nach Amsterdam in die Niederlande emigrierte.

Bekannt wurde er als Vater von Anne Frank, die in dem Versteck, in dem sie über 2 Jahre lang aufgrund der Judenverfolgung, die während des Krieges auch das besetze Holland erreichte, mit ihrer Familie und Freunden gelebt und Tagebuch geschrieben hat. Otto Frank überlebte als einziger dieser acht Untergetauchten und machte seine Tochter und deren Tagebuch postum weltberühmt.

Auch ich frage mich an solchen Tagen, wie man wohl mit mir und meiner Multiple Sklerose damals verfahren wäre. Wäre ich bereits tot oder hätte man mich "nur" zwangssterilisiert? Wäre ich irgendwie "durchgeschlüpft", weil man mir meine Krankheit eben nicht ansieht? Oder wäre ich, aufgrund meiner langen und akribisch geführten Krankenakte, mit monatlich einem neuen Bericht über meine regelmäßigen Infusionen, die meine Krankheit haben halbwegs zur Ruhe kommen lassen, inzwischen dem "Euthanasieprogramm für lebensunwertes Leben" zum Opfer gefallen?

Hätte man meine Medikation, wenn man damals schon auf dem medizinischen Stand wie heute gewesen wäre, irgendwann eingestellt, weil der Staat bzw. die Krankenkassen die 2400€ (bzw. damals um 1944 knapp 730 Reichsmark) jeden Monat für meine mir das Leben erleichternde Infusion vielleicht irgendwann nicht mehr erübrigen wollten, weil nach nationalsozialistischen Weltbild mein Leiden dadurch nur künstlich verlängert worden, aber eben keine Heilung möglich wäre? Also es aufgrund der Unheilbarkeit für die staatlichen Stellen rausgeworfenes Geld gewesen wäre?


Wie schnell wäre ich in irgendeiner staatlichen Einrichtung oder vielleicht dann bei fortschreitender MS-Erkrankung in einem KZ verschwunden? Von meinen (damit einhergehenden) psychischen Erkrankungen ganz zu schweigen. 

Wäre ich als Mensch wirklich völlig egal gewesen, das wer und was ich bin, sondern wäre es nur darum gegangen, welche Krankheit ich in welchem Stadium habe? Um mich dann letztendlich einfach zu entsorgen, weil ich keine Daseinsberechtigung mehr hätte?

Ich bin froh im heutigen Deutschland zu leben, in dem ich schnelle und relativ unbürokratische Hilfe im Kampf gegen den Fortschritt meiner Krankheit bekomme. In dem ich nicht für meine Medikamente, die ich mir selber einfach nicht leisten könnte, mit meinem Geld aufkommen muss, sondern mich eine Solidargemeinschaft auffängt. Und trotz der Leute, die sich eben die oben geschilderte Zeit heutzutage wieder zurückwünschen, und trotz sicher vieler gesundheitspolitischer Defizite, an denen dringend noch gearbeitet werden muss, kann ich mir im Moment kein besseres Land für meine gesundheitliche Versorgung wünschen als Deutschland. 


Um den Kreis zu schließen, möchte ich diesen Blogbeitrag mit einem Zitat von Otto Frank abschließen:

"Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Das einzige, was wir tun können, ist, aus der Vergangenheit zu lernen und zu erkennen, was Diskriminierung und Verfolgung unschuldiger Menschen bedeutet. Meine Meinung ist, dass jeder die Pflicht hat, gegen Vorurteile zu kämpfen."

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